Den anderen ernst nehmen ist der Schlüssel

von Volker Rau | Jan. 2016

Führung Selbstführung Strategieumsetzung Stressmanagement

Kritische Situationen im Prozess der Strategieumsetzung. Strategieprojekte sind zumeist keine Selbstläufer. Deutlich wird dies, wenn in die Routinen der betrieblichen Abläufe eingegriffen werden muss. Geschieht dies unter hohem Erfolgs- und Zeitdruck, dann bleiben Konflikte zwischen den Veränderern und den Bewahrern in der Organisation nicht aus.

So geschehen in einer zentralen Abteilung eines Spezialmaschinenherstellers. Dort regte sich Unmut über die hohen Anforderungen des Chefs. Dieser verlangte, dass sich der Umgang mit Zulieferern verändern (straffen), die Liefertreue sich deutlich verbessern, die Teammitglieder mehr Selbstverantwortung im Kunden- und Lieferantenmanagement zeigen sollten. Alles vor dem Hintergrund, mittelfristig wieder eine schwarze Null zu schreiben.

Klar und deutlich als wirtschaftlich notwendiges Strategieprojekt kommuniziert, wurde es von den Adressaten als Provokation und Fundamentalkritik an der Teamleistung aufgefasst. Das lag sicher auch daran, mit welchem Nachdruck Veränderungen aus der Chefetage eingefordert wurden.

An sich ist an dem Verhalten des Standortleiters aus unserer Sicht zunächst nichts auszusetzen; proklamieren wir doch, das ranghohe Führungskräfte ein deutliches: „Ich will, dass …“ kommunizieren sollten, um die Mannschaft in Bewegung zu bringen. Fakt jedoch war, dass eine Reihe von Teammitgliedern auf seinen Impuls mit einem nicht minder deutlichen: „Ich will nicht, dass …“ reagierten.

Üblicherweise verhärten sich in solchen Situationen die Standpunkte; so auch hier. Irritiert von der hohen Dosis an Widerstandsenergie bat uns der Standortleiter um ein Gespräch, in dem er von zahlreichen Situationen berichtete, in denen der Streit um das richtige Vorgehen zu eskalieren drohte. Später im Gespräch stellte er die Frage: „In letzter Zeit habe ich viel über Mitarbeiterbindung gelesen und gehört. Braucht meine Mannschaft mehr Wertschätzung?“

Reflexartig antworteten wir: „Unser Eindruck ist, Ihre Mannschaft fordert das auf ihre Art sogar vehement ein. Ihre Leute scheinen zu denken, sie hätten in den vergangenen Monaten alles falsch gemacht. Und nun müssten sie alles verändern.“

Mit der Antwort unseres Kunden, wurde das Dilemma, indem er sich befand, dann deutlich. Er sagte: „Aber wie soll ich meine Leute denn wertschätzen, wenn ich mit ihrer Leistung und ihrem Verhalten unzufrieden bin?“

Richtig, wie auch?!

Es scheint, der Zeitgeist gäbe uns nur diese Antwort auf Konflikte vor: Wir müssen einander mehr wertschätzen! Regelmäßiges Lob und Anerkennung – dann können wir alles schaffen!

Dem Kunden haben wir von diesem emotionalen Spagat abgeraten. Gleichzeitig mit einer Leistung unzufrieden sein und trotzdem den anderen loben, das wirkt so zwiespältig (Psychologen nennen das „Double Bind“), dass schlussendlich niemand mehr versteht, was in kritischen Situationen voneinander gewünscht oder erwartet wird.

Den anderen ernst nehmen ist der Schlüssel

Wenn ich den anderen mit seiner Meinung (ob „realistisch“ oder nicht) ernst nehme, dann höre ich mir zunächst an, wie er die Situation wahrnimmt und beschreibt, ohne zu werten. Das gelingt am besten, wenn ich mich an dem Motto orientiere: Verstanden heißt nicht einverstanden. D.h. Ich höre zu – ich gebe wieder, was ich verstanden habe – warte die Antworte darauf ab, ob ich es „richtig“ verstanden habe – und bringe dann meine Sicht zum Ausdruck (Sokratischer Dialog). Dies durchaus persönlich, durchaus mit einem Schuss Emotionalität, denn so gebe ich dem anderen einen nachvollziehbaren Eindruck davon, was in mir zu diesem Thema los ist. Ein übliches und erprobtes und wahrlich kein neues Gesprächsverfahren, das jedoch höchst wirksam ist.

Man braucht allerdings ein nicht unerhebliches Maß an Selbstdisziplin und die Fähigkeit, seine Emotionalität in gesunde Bahnen zu lenken, was im Konfliktfall nicht selbstverständlich ist. Dies gilt für beide Streitbeteiligte.

Wie haben wir diesem Betrieb, seinem Leiter, seinem Team von ca. zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern also helfen können, einen Dialog im oben beschriebenen Sinne zu führen?

Alle Beteiligten am Strategieprojekt wurden zunächst in homogenen kleinen Gruppen von uns dazu eingeladen, ihre Sicht der aktuellen Situation zu schildern. Mit dem Standortleiter führten wir ebenfalls einen solchen Dialog nach den gleichen Fragestellungen. Wir haben wertfrei zugehört und nachgefragt. Es ist uns damit gelungen, die Einzelnen abzuholen und für einen Dialog in großer Runde zu gewinnen. Die Diskussionsergebnisse haben wir dann konsolidiert und aufbereitet; einander gegenübergestellt und dann in einem zweitägigen Workshop zurückgemeldet. Die anschließende moderierte Diskussion wurde dann zu einem unerwartet eindrücklichen Aha Erlebnis für alle Beteiligten.

Mannschaft und Führungskraft zeigten sich erstaunt darüber, wie nachvollziehbar die Gründe für das Verhalten des anderen waren und beschlossen, dass so etwas nicht mehr passieren dürfe.

Standortleitung und Team war es möglich, ihre kritische Sicht auf das Verhalten des je anderen mit unserer Hilfe zu klären; alle wurden gehört, der emotionale Druck minderte sich. Die Sorge, in der Auseinandersetzung zu unterliegen oder zu kurz zu kommen, verflog. Es war nun möglich, einander ein deutliches kritisches Feedback zu geben. Im besten Sinne des Wortes haben alle Beteiligten sich selbst und den anderen ernst genommen – und zwar ohne dabei in Höflichkeitsfloskeln und Wertschätzungsrhetorik zu verfallen.

Mit dieser Erleichterung schaffte es das gesamte Team dann, am zweiten Tag des Workshops entscheidende Teilprojekte des Strategiepakets aufzusetzen und deren Umsetzung zu planen.

Mit reiner Wertschätzungsphilosophie wären wir keinen Schritt weiter gekommen. Einander stattdessen ernst nehmen heißt: Kritisches auf Augenhöhe besprechen zu können. Dann wird Energie für das gemeinsame Strategieprojekt frei.

(Bildnachweis: 123rf.com, Alexandr Shirokov, 36383005)

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